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amnesty international
Brief der Generalsekretärin der deutschen Sektion von ai, Barbara
Lochbihler,
an den deutschen Bundeskanzler vom 11.Juli 2002
zum Thema: Internationaler Strafgerichtshof
Herrn Bundeskanzler
Gerhard Schröder
Bundeskanzleramt
11012 Berlin
11.07.2002
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
mit dem Inkrafttreten des Römischen Statuts über den Internationalen
Strafgerichtshof (IStGH) am 1. Juli 2002 ist seit Gründung der Vereinten
Nationen eine der wichtigsten internationalen Einrichtung zum Schutz der
Menschenrechte entstanden. amnesty international begrüßt es
sehr, dass sich die Bundesregierung - auch im Rahmen der Europäischen
Union - stets mit Nachdruck für den IStGH eingesetzt hat.
Die aus unserer Sicht inhaltlich nicht hinreichend begründete
Ablehnung des IStGH durch die Regierung der USA hat seit dem 1. Juli erheblich
an Schärfe zugenommen und droht nun den IStGH nachhaltig zu schädigen.
Der Versuch, US-amerikanisches Personal oder sämtliche „Blauhelme“
über eine Resolution des Sicherheitsrates von der Zuständigkeit
des IStGH auszunehmen, bedroht sowohl das System der Vereinten Nationen
als auch das Römische Statut. Hierauf hat auch der Generalsekretär
der Vereinten Nationen, Kofi Annan, in ungewöhnlicher Deutlichkeit
hingewiesen.
Das System der Vereinten Nationen beruht auf dem Gedanken der souveränen
Gleichheit aller Staaten und würde durch Sonderregelungen zugunsten
einzelner Staaten erheblich beeinträchtigt. Auch darf der Sicherheitsrat
nicht dazu missbraucht werden, einen völkerrechtlichen Vertrag wie
das Römische Statut im Kern zu beschädigen. Einer Resolution
des Sicherheitsrates zur Gewährung allgemeiner Immunität müsste
zudem die Annahme zu Grunde liegen, dass die Strafverfolgung durch den
IStGH Frieden und Sicherheit gefährden könnte. Dies ist eine
nicht nachvollziehbare Position, die zudem dem Sinn und Zweck von Art.
16 des IStGH-Statuts klar widerspricht.
Die Bundesregierung sollte sich mit größtem Nachdruck dafür
einsetzen, dass es nicht zu einem Präzendenzfall kommt, der den IStGH
und die Glaubwürdigkeit der Vereinten Nationen massiv beeinträchtigt.
Bitte wirken Sie gegenüber den Mitgliedern des Sicherheitsrates entschieden
darauf hin, dass keine Kompromisse zu Lasten der Vereinten Nationen und
des Internationalen Strafgerichtshofs getroffen werden.
Mit freundlichen Grüßen
Barbara Lochbihler
Generalsekretärin
cc: Außenminister Fischer, Justizministerin Prof. Dr. Däubler-Gmelin
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