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Süddeutsche Zeitung 09.07.2003
Eine Frage der Werte
Verschiedene Regelungen in den Staaten Europas
Von Cornelia Bolesch
Brüssel - Kurz bevor die EU-Kommission vorschlagen will, welche
Richtung
die Stammzellenforschung künftig in Europa nehmen soll, schrieben
Europaabgeordnete der italienischen Radikalen Partei dem belgischen
Forschungskommissar Philippe Busquin einen Brief. Darin unterstützen
sie
seine Absicht, auch Forschung an überzähligen Embyronen mit
EU-Geldern
zu fördern, denn: "Wir hoffen auf den Fortschritt der Forschung,
um
schreckliche Krankheiten zu heilen". Ihr eigener Parteivorsitzender,
so
schrieben die Parlamentarier in ihrem Brief, leide schließlich
"unter
amyotropher lateraler Sklerose, einer Krankheit, die innerhalb von
drei,
vier Jahren zum Tod führt".
Europas 15 Mitgliedstaaten sind gespalten in Befürworter und Gegner
einer großzügigen Stammzellenforschung. Unterschiedliche
Werte und
Traditionen bestimmen das Bild, aber auch ein ganz unterschiedliches
Problembewusstsein. Die starken Bedenken des deutschen Gesetzgebers
werden von zahlreichen Staaten geteilt. Andere Länder dagegen
haben
weiter gefasste Regelungen verabschiedet. In wiederum anderen
europäischen Gesellschaften ist die Diskussion noch im Fluss,
hat die
parlamentarische Beratung über die ethischen Grenzen der
Stammzellenforschung gerade erst begonnen. Die EU-Kommission hat eine
Übersicht herausgegeben (Stand: März 2003), die eine kleine
Reise durch
die Gesetzgebung erlaubt.
Die wenigsten Skrupel, Embryonen für Forschungszwecke zu verwenden,
hat
Großbritannien. Als einziges EU-Land ist es hier gesetzlich erlaubt,
Embryonen eigens für Forschungszwecke herzustellen. Auch in den
Niederlanden spricht das Embryo-Gesetz von 2002 diese Möglichkeit
an.
Fünf Jahre lang gilt zunächst jedoch ein Moratorium. Außer
den
Niederlanden und Großbritannien erlauben auch Finnland, Griechenland
und
Schweden die Verwendung bereits vorhandener, überzähliger
Embryonen zur
Gewinnung von Stammzellen. Dabei geht es hauptsächlich um Embryonen,
die
im Rahmen der modernen Fortpflanzungs- Medizin außerhalb des
Mutterleibs
erzeugt wurden.
Sechs EU-Staaten verbieten auch diese Forschung mit überzähligen
Embryonen ausdrücklich: Außer Deutschland sind das Österreich,
Dänemark,
Frankreich, Irland und Spanien. In Spanien ist eng begrenzt nur die
Gewinnung von Stammzellen aus Embryos erlaubt, die ohnehin nicht mehr
lebensfähig wären. Unter diesen eher skrupulösen Staaten
hat Deutschland
eine Kompromissformel gefunden, die im begrenzten Umfang den Import
und
die Forschung an Stammzellen erlaubt: Stammzellenlinien, die bereits
aus
Embryonen gewonnen wurden, dürfen genutzt werden, sofern sie vor
einem
bestimmten Stichtag produziert wurden. In Österreich, Frankreich
und
Dänemark ist diese Möglichkeit nicht ausdrücklich erlaubt,
aber auch
nicht verboten.
Diskussion in vollem Gang
In Belgien, Italien, Luxemburg und Portugal gibt es laut
Kommissionspapier noch keine spezifischen Vorschriften zur Embryonen-
und Stammzellenforschung. Portugal hat allerdings die Konvention des
Europarats unterzeichnet, die eine Herstellung von Embryonen zu
Forschungszwecken verbietet. In diesen Ländern, die noch keine
speziellen Gesetze haben, ist die parlamentarische Diskussion in vollem
Gang. Und auch in jenen Staaten, die bereits einen gesetzlichen Rahmen
gefunden haben, ist die Debatte längst nicht abgeschlossen.
Ethik-Komitees und Ausschüsse beugen sich überall über
die komplizierte
Problematik und versuchen sich an einer Synthese aus Ethik und
Forscherdrang.
Länder, in denen bisher entweder strikte oder gar keine Regeln
für den
Umgang mit Embryonen gelten, diskutieren über größere
Freiräume für die
Forscher. So berät das belgische Parlament ein Gesetz, das Forschung
an
überzähligen Embryonen erlauben würde. In eine ähnliche
Richtung gehen
Beratungen in Frankreich und Dänemark. In Schweden wiederum, das
Forschung an überzähligen Embryonen bereits zulässt,
hat ein
Parlamentsausschuss Anfang dieses Jahres den noch weiter gehenden
Vorschlag gemacht, es unter bestimmten Bedingungen zu erlauben,
befruchtete Eizellen zu Forschungszwecken zu produzieren.
Im größeren Europa der 25 Staaten finden sich Polen, Litauen
und die
Slowakei im Lager der Gegner einer weitgehenden Embryonenforschung.
Estland, Ungarn, Lettland und Slowenien dagegen haben die Forschung
an
überzähligen Embryonen unter strengen Bedingungen erlaubt.
Noch keine
Gesetze gibt es in Malta, Zypern und der Tschechischen Republik.
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